Malerei als Risiko auf der Leinwand

Von BARBARA SCHÜRENBERG

Während die kürzlich in Berlin gezeigte Saatchi-Ausstellung „Sensation" in New York für innenpolitische Irritationen sorgt (Bürgermeister Rudolph Giuliani droht, wegen einiger in der Schau enthaltener pornographischer Exponate dem ausstellenden Brooklyn Museum alle Zuschüsse zu streichen) wird Kunstmogul Charles Saatchi auch im heimatlichen London von allen Seiten angeschossen. Nicht nur, dass die soeben in seiner Galerie eröffnete Ausstellung „Neurotischer Realismus" von den Kritikern fast einhellig als Etikettenschwindel abgetan wird, zu allem Überfluss hat sich nun auch noch die Künstlergruppe „The Stuckists" etabliert, deren erklärtes Ziel es ist, die von Saatchi so vehement propagierte Britart als lediglich zynisch kalkuliertes Marketing zu entlarven.

Die Stuckists, die sich als neo-konservative Künstlergruppe begreifen, lassen ausschließlich Malerei als Mittel künstlerischen Ausdrucks gelten. „Wir sind gegen Popart, Britart, Minimalismus, Konzeptkunst, Installationen, Videokunst, Kunst mit toten Tieren und mit Zelten" verkündet das von den Oberstuckisten Billy Childish und Charles Thompson nicht ohne Ironie verfasste Manifest der Gruppe. „Künstler, die nicht malen, sind keine Künstler, und Kunst, die in einer Galerie gezeigt werden muss, um als Kunst erkannt zu werden, ist keine Kunst".

Dem Manifest zufolge ist ein Stuckist „kein Karrierekünstler, sondern eher ein Amateur (vom lateinische amare, lieben), der Risiken auf der Leinwand eingeht, anstatt sich hinter Readymades zu verstecken." Dieser Angriff gilt vor allem Künstlern wie dem durch seine in Formaldehyd eingelegten Haie und Schafe bekanntgewordenen Damien Hirst oder Tracey Emin, deren bekanntestes Kunstwerk ein Zelt ist, in das sie die Namen all der Personen stickte, mit denen sie je geschlafen hat. Emin, die gerade als Favoritin für den diesjährigen Turnerpreis, Grossbritanniens wichtigsten Kunstpreis, gehandelt wird, prägte übrigens, wenn auch ungefragt, den Namen der Gruppe. Sie bescheinigte einst ihrem damaligen Boyfriend Billy Childish, seine Bilder seien „Stuck, stuck, stuck!" — was soviel wie steckengeblieben oder festgefahren heisst.

Dabei sind Thompson, der mit Vorliebe Porträts des englischen Barockmalers Thomas Gainsborough zitiert und Childish, dessen expressive Stilleben und die mit hintergründigen Symbolen befrachteten Porträts kürzlich im Deutzer Bahnhof in Köln zu sehen waren, wenn auch nicht grundsätzlich originäre, dennoch die mit Abstand herausragenden Talente dieser eher lose zusammenarbeitenden Gruppe, die in ihrer Londoner Gründungsausstellung jetzt mit 13 Künstlern aufwartet.

Diese in fast dadaistischer Chaosmanier daheragierenden Dreizehn kennen sich zwar nicht einmal alle untereinander, sind sich aber in gemeinsamer Bewunderung der expressionistischen Künstlervereinigung „Die Brücke" immerhin so einig, dass sie Karl Schmidt-Rottluff soeben posthum zum Stuckisten ehrenhalber ernannt haben.

Soviel Witz und Originalität geht Saatchis Neurotischen Realisten ganz und gar ab. Vielleicht liegt das ja daran, dass diese Künstler sich ihr Vermarktungslabel nicht etwa selbst ausgesucht, sondern — und das ist in der Kunstgeschichte bisher einmalig — vom Sammler aufgepappt bekommen haben. Als Saatchi im Januar dieses Jahres den ersten Schwung seiner schnell zusammengekauften Neurotiker zeigte, klebte das Neurosen-Etikett noch halbwegs glatt auf technologischen Müllhalden, fetischistischen PVC-Robotern, den nackten Hintern bierumnebelt-dumpfer Hooligans und den im Banne eines homosexuellen Darkrooms Triebgeplagten.

Diesmal allerdings sind Obsessionen, Ängste oder Zwanghaftigkeiten kaum ansatzweise erkennbar — weder in den fröhlich bunten, wenn auch menschenleeren Interieurs (Camp David, Schalfzimmer der Queen) von Dexter Dalwood noch in Mark Hoskings leuchtendbunt lackierten landwirtschaftlichen Ackergeräten. Den von Tom Hunter fotografierten Sozialwohnungs-Mietern, die in ihrer Trostlosigkeit beklemmend realistisch festgehalten sind, den Neurosen-Stempel aufzudrücken, ist schlichtweg unverschämt, und wenn Peter Davies Pünktchenbilder neurotisch sind, dann waren es die Pointillisten allemal.

David Falconers „Todeshaufen", zu dem sich im Eingangsbereich der Saatchi-Galerie Hunderte (ganz sanitär aus Kunstharz abgeformte) tote Mäuse stapeln, gibt dann gerade mal das Feigenblatt für einen griffigen Slogan ab. Schön, dass die Stuckisten solch zynischer Kunstmarkt-Jongliererei den Finger zeigen.

 

Stuckism: Gallery 108, 108 Leonard Street, London EC2 bis 13. Oktober

Stuckists im Internet:

http://victorian.fortunecity.com

churchmews/120

Neurotic Realism: Saatchi Gallery,

98A Boundary Road, London NW8

bis 5. Dezember

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